So feiern Ukrainer, Russen und andere Länder der ehemaligen Sowjetunion
Die Ostblock-Hochzeiten sind das große Ereignis in jeder Familie. Das Motto: Mehr ist mehr und es darf richtig krachen. Auch wenn die europäischen und amerikanischen Einflüsse inzwischen auch in den Osten überschwappen, bleiben viele Traditionen erhalten. Über einen Kamm scheren kann man die Länder nicht: trotz der Gemeinsamkeiten gibt es dennoch einige Unterschiede zwischen der Ukraine und Georgien, zwischen Moldavien und Weißrussland, zwischen Armenien und Kasachstan. Was sie gemeinsam haben, ist aber beispielsweise die der Tamada.
Tamada – Die Seele der Ostblock-Hochzeit
Anders als bei den deutschen Hochzeiten ist es im Osten üblich, einen Tamada zu beauftragen. Es ist eine in der Regel charismatische, aufgeschlossene Person, die die Hochzeit leitet. Tamadas sind häufig weiblich, aber auch Männer können diese Rolle ausüben. Es ist in der Regel kein Familienmitglied sondern ein Dienstleister, der sich ausschließlich auf Hochzeiten spezialisiert.
Ohne einen Tamada läuft es nicht. Von der Begrüßung der Gäste über die Planung und Ankündigung einzelner Programmpunkte über die Verantwortlichkeit für die Stimmung, mit einem Vollprofi steht und fällt die Stimmung der Feier. Häufig bringen Tamada auch eigene Ideen, Anekdoten, Reden und Spiele mit ein.
Natürlich liegt es in der Hand des Brautpaares, was genau der Tamada machen soll. Die Chemie sollte unbedingt stimmen und der Tamada zu der Art der Hochzeit passen und bestens informiert sein.
Lange Tischreden
Auf den Ostblock-Hochzeiten geht nichts ohne lange, kreative, witzige und rührende Reden der Familie, der Freunde und der gesamten Verwandtschaft. Die Osteuropäer haben gern einen Toast bevor sie trinken. So werden die Reden bei jeder Gelegenheit geschwungen und das Brautpaar ist den Großteil der Zeit damit beschäftigt, die Aufmerksamkeit den einzelnen Rednern zu schenken.
„Gorko!“ – Rufe
Eine weitere Tradition im Ostblock ist der Ruf „Горько!“, was übersetzt so viel bedeutet wie „Bitter“. In der Regel stimmt ein Gast ein und der Rest steigt ein. Vom Brautpaar wird erwartet, dass sie sich küssen und damit den „bitteren Ruf“ versüßen.
Essen auf dem Tisch
Auch, wenn auch dieser Punkt im Wandel ist, ist es immer noch üblich: Das Essen kommt auf den Tisch. Das bedeutet, dass es kein separates Buffet oder Menüs gibt, die serviert werden, alle Gerichte stehen direkt auf der Tafel und jeder kann sich bedienen ohne aufzustehen. Selbiges gilt für Getränke.
Nicht selten sind die Tische so voll, dass Teller mit Speisen übereinander in zwei Reihen gepackt werden. Salate, Fleischgerichte, Fisch, Kartoffeln, Aufschnitt, Gemüse und vieles mehr bilden eine unglaubliche Menge an Essen.
Niemals fehlen dürfen zum Beispiel:
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Olivier (Salat aus Kartoffeln, Schinken, Eiern, Gurken, Erbsen, gekochten Karotten und viel Mayonnaise)
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Gefüllte Eier (Eierhälften, die mit Pilzen, Fleisch, Kräutern, Käse, Zwiebeln und anderen Leckereien gefüllt werden)
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Fleischsülze
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Bratkartoffeln
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Geflügel
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Frikadellen
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Gebratener und gebackener Fisch
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Gefüllte Teigwaren
Inzwischen merkt man deutlich westlichen Einfluss auch auf die osteuropäische Küche, manche Gerichte bleiben aber weiterhin unerschütterliche Tradition.
Grundsätzlich gibt es so viel Essen, das die veranstaltende Familie noch Wochen davon essen kann. Es wäre unvorstellbar, nur so viel zu kochen wie tatsächlich benötigt wird. Es ist auch nach wie vor nicht unüblich, dass die gesamte Familie das Hochzeitsessen selbstständig kocht oder eine Kochhilfe engagiert.
Natürlich wird auch in Restaurants geheiratet, aber die Variante der Feier zu Hause ist sowohl in Städten als auch auf dem Land üblich.
Selbst gekochtes Essen ist bei osteuropäischen Hochzeiten keine Seltenheit.
Showeinlagen der Hochzeitsgesellschaft
Grundsätzlich steht es jedem Gast frei, einen Programmpunkt vorzubereiten. Es wird gesungen, gespielt, Sketches Vorgetragen, Geschichten erzählt. Ob Kind oder Erwachsener, jeder kann sich etwas überlegen. Wichtig ist nur, es mit dem Tamada abzusprechen um in das Programm aufgenommen zu werden.
Getanzt und gesungen wird allgemein auch sehr viel. Egal, ob Männlein oder Weiblein, Jung oder Alt: Wenn die richtigen Lieder laufen, stürmen alle aufs Parkett. Alle bekannten Lieder werden ebenfalls kollektiv gesungen, ein „Ich kann nicht singen“ gibt es nach dem dritten Gläschen nicht.
Hochzeitsspiele
Das Brautpaar wird auch bei Ostblock-Hochzeiten nicht von Spielen verschont. Ganz beliebt ist die Entführung der Braut, die anschließend vom Bräutigam gesucht und freigekauft werden muss. Der Tamada weiß in der Regel Bescheid und leitet die Operation „Brautentführung“ an.
Ein ebenfalls beliebtes Spiel ist das Strumpfhosenspiel. Dabei werden rosa und hellblaue Kinderstrumpfhosen durch die Reihen der Gäste getragen und jeder Gast kann einen beliebigen Geldbetrag in eine der Strumpfhosen reinwerfen. Je nachdem, welche Farbe mehr Geld sammelt, soll es die Geburt eines Jungen oder eines Mädchens voraussagen.
Kirchliche Hochzeit
Die meisten Ostblock-Paare sind (mehr oder weniger) orthodox und es wird viel kirchlich geheiratet. Wie auch in Deutschland, ist die kirchliche Trauung freiwillig. Das Paar muss aber keiner Institution Kirche beitreten, um vor Gott gesegnet zu werden – es reicht, einen Termin mit dem Verantwortlichen auszumachen und einen genannten Betrag zu zahlen.
Alkohol und Temperament
Getrunken wird auf Ostblock-Hochzeiten gern und viel. Wodka, Wein, Sekt und andere Spirituosen werden literweise eingeschenkt. Bier hingegen ist kein häufiges Hochzeitsgetränk.
Auf einer Hochzeit nicht oder nur wenig zu trinken ist wirklich ungewöhnlich. Deshalb werden Autos auch gern stehen gelassen und angemietete Busse oder Taxen fahren die Gäste nach Hause.
Auch kommt es unter dem Alkoholeinfluss gern zu hitzigen Diskussionen und teilweise auch zu körperlichen Auseinandersetzungen, die aber nur selten ernstgemeint sind. Nach einer Rauferei unter Freunden wird sich wieder vertragen und weitergetrunken.
Kinder als Gäste
Kids sind auf osteuropäischen Hochzeiten selbstverständlich und werden auch nicht besonders anderweitig beschäftigt. Sie bleiben auch mit den Eltern bis in die Nacht und schlafen einfach auf zusammengeschobenen Stühlen, wenn sie müde werden.
Oft gibt es einen Kindertisch, wo die Kleinen zusammen sitzen. Manchmal wird auch das Menü an die Knirpse angepasst, sodass sie sich selbst bedienen können.
Gästeliste als lockeres Konzept
Die Ostblock-Hochzeiten haben häufig eine variable Anzahl an Gästen. Vor allem auf dem Land kommen auch mal Personen, die man nicht explizit eingeladen hat, wie zum Beispiel Nachbarn, entfernte Verwandte oder einfach nur Mitbringsel, die das Brautpaar gar nicht mal kennt. Auch ist es normal, dass die Eltern des Paares Personen einladen, auch ohne Absprache. Osteuropäische Hochzeiten fallen gern besonders groß und ausladend aus.
Inzwischen befindet sich dieser Punkt im Wandel. Gerade jetzt, wo teilweise Sitzplatzkärtchen, Restaurantreservierungen, personalisierte Einladungen per Post und andere „modernere“ Bräuche aus Europa überschwappen, ändert es sich. Doch viele Hochzeiten finden nach wie vor auf diese liebeswerte, chaotische und kultige Art und Weise statt.
Gast auf der Ostblock-Hochzeit
Wer zu einer osteuropäischen Hochzeit eingeladen wurde, kann sich auf einen bunten Abend vorbereiten. Ein paar wenige Sachen gibt es zu beachten.
Geschenke
Im postsowjetischen Raum darf Diverses verschenkt werden. Als üblich haben sich aber Gegenstände für den gemeinsamen Haushalt sowie Geldgeschenke rauskristallisiert. Gold und Schmuck, wie auf südländischen Hochzeiten, sind hier seltener vertreten. In der Regel wird das Brautpaar neben Geschenken auch mit Blumen und Spirituosen zugeschüttet.
Blumen dürfen immer zu Ostblock-Hochzeiten mitgebracht und verschenkt werden.
Dresscode
Sofern nichts anderes gefordert, ist festliche Abendgarrobe der Goldstandard. Kleider, High-Heels, Anzüge und passendes Schuhwerk gehört zum guten Ton. Später fallen aber die Jacketts, um ausgelassen zu tanzen. Mädels behalten aber ihre Schuhe meist an, trotz der hohen Absätze. Viele osteuropäische Frauen haben deutlich mehr Übung beim Tragen von Heels, da diese auch im Alltag völlig normal sind.
Länge der Veranstaltung
Ostblock-Hochzeiten dauern. Man darf sich ruhig darauf einstellen, bis zum Sonnenaufgang zu feiern und braucht nicht mit Ausreden kommen, warum man schon um 22 Uhr die Fliege machen möchte. Wenn feiern, dann richtig.
Musik
Das Repertoire der Lieder reicht querbeet von aktueller Musik bis zu den Klassikern der postsowjetischen Zeit, Nationalliedern, Filmmusik oder weltberühmten Hits. Vor allem sollte man sich als Gast darauf einstellen, dass es laut wird.
Auch als Nicht-Osteuropäer braucht man sich keine Sorgen zu machen. Obwohl die Hochzeitsgesellschaft mit dem steigenden Pegel extrovertierter und lauter wird, werden Gäste herzlich integriert. Ob sie es wollen oder nicht.